Les amazones d’Afrique in der Stadthalle Heidelberg
Das Festival Enjoy Jazz in der Metropolregion Rhein-Neckar gibt es im Jahr 2018 zum 20. Mal – und wurde Anfang Oktober mit einem Kozert der Amazones d’Afrique eröffnet. Anbei mein Bericht dazu.
Ebenfalls im Rahmen des Festivals gibt es eine Lesung aus James Baldwins neu übersetztem Roman „Beale Street Blues“ – ein ganz hervorragendes Buch; im Grunde müsste aber nicht nur Baldwin, sondern auch sein Schriftstellerkollege und zeitweiliger Freund Richard Wright mit seinem literarischen Werk wieder entdeckt werden – aber vielleicht kommt das ja noch!
Hier jedenfalls meine Konzerteindrücke:
Im Jazz, sagte der Schauspieler Matthias Brandt in seiner Eröffnungsrede zum 20. Geburtstag der Festivalreihe Enjoy Jazz, erzählen die Musiker ihre Geschichten – und das sei es, was gerade heute wichtiger sei denn je: von sich zu erzählen und einander zuzuhören. Ihre Geschichten erzählen im Enjoy-Jazz-Eröffnungskonzert in der Heidelberger Stadthalle auch die drei Sängerinnen der westafrikanischen Künstlerinnengruppe Les Amazones d’Afrique. In ihren Liedern singen die stimmstarken Awa Sangho, Mamani Keïta und Nana Coulibaly – allesamt aus Mali – von Müttern und dem Alltag und den Sehnsüchten von Frauen. Das Engagement gegen häusliche Gewalt, Zwangsverheiratungen und patriarchale Gesellschafts- und Familienstrukturen ist Programm ihrer Musik, sagt Sangho gleich zu Beginn des Konzerts, das zugleich die Deutschlandpremiere der Amazones d’Afrique darstellt.
Man müsse heute jederzeit und auch im Alltag deutlich für Demokratie eintreten, hatte Brandt in seiner unterhaltsam-nachdenklichen, sehr persönlichen Eröffnungsrede bilanziert – und insofern passt der Verlauf seiner Rede, für das die Honoratioren auf die üblichen Grußworte zum Festivalauftakt verzichteten, gut zum Verlauf des Konzerts. Mit (übersetzt) „Nie wieder weinen“ verlangen die Amazones d’Afrique Respekt vor Frauen, mit „Mütter“ Anerkennung, und zugleich singen sie wie ihn „Deep in Love“ von tiefsten Gefühlen. In ihrer Musik stehen die Stimmen im Vordergrund, die Band aus Joseph Palmer (USA) am Schlagzeug, Llorens Barcelo (Spanien) am Keybord und Salif Koné (Mali) an der Gitarre sorgt für den tragenden Rhythmusfluss und gleicht die für europäische Ohren unvertraute Stimmhöhe der Sängerinnen etwas modulierender aus.
In der Schilderung seiner Erstbegegnung mit Jazz – Herbie Hancock und John Coltrane unter anderem – erwähnte Brandt eine frühe Episode, in der dem Publikum seinerzeit Hancocks Technikeinsatz missfiel. Genau das aber sei Jazz, sagt Brandt weiter: zu sich zu stehen und Grenzen zu weiten. Eben das tun auch die Amazones d’Afrique, wenngleich weniger dabei, was den Gesang angeht, der herkömmlichen Vokalformen Westafrikas verbunden bleibt, sondern vielmehr dabei, was die die Arrangements der Band betrifft. Der spielfreudige Koné adaptiert an der Gitarre die Lautfolgen der westafrikanischen Kora-Musiker, die aus ihren aus Kalebasse erstellten Instrumenten gleichsam Hafenklänge perlen lassen; der kaum zu bremsende Palmer überträgt die Trommelrhythmen traditioneller Melodien auf seine Drums, und Barcelo improvisiert bisweilen und gestaltet die Verbindung zu Dub und Free Jazz, zu Kongo-Rumba und Funk.
Dabei wird auch eines sehr schnell klar: zum Sitzen ist diese Musik nichts. Sie passt besser in Bars und Clubs mit Tresen und Tanzfläche als in den feierlich-getragenen Rahmen einer Stadthalle, wäre atmosphärisch besser vorstellbar in den Räumen des Karlstorbahnhofs Heidelberg, dem Kooperationspartner dieses Konzerts. Aber die Platzierung und Terminierung als Auftaktkonzert von Enjoy Jazz ist gewiss auch ein politisches Signal, wie es Brandt als Freund des Festivalorganisators Rainer Kern sagte, ein „Willkommen an die Welt“. Der Funke zwischen Amazones d’Afrique und Publikum springt dann erst richtig über, als Sangho der Dialog mit den Zuhörern gelingt, diese sich aus ihren Stühlen erheben und beengt zumindest etwas mitwippen können. Da allerdings sind die Amazones d’Afrique bereits bei ihrem letzten Titel „Good Morning“ angelangt, ihrem siebten erst, der indes so mitreißend schwingt, dass die Dynamik kaum noch zu halten ist. Der Zugabe und einer als Abschluss gedachten Blumenübergabe folgt mit „Mali Blues“ eine Hommage an die Wiege und Wurzeln des Blues in Westafrika, und damit endet das Konzert, wie es noch besser bereits begonnen hätte: mit einer ungebremst lustvoll spielenden Band, die zeigen will, was alles sie kann, einem nach Solos hungrigen Toure an der Gitarre und einem gerade erst in Fahrt kommenden Palmer am Schlagzeug. Da sind Sangho, Coulibaly und Keïta nicht mehr Frontsängerinnen, sondern Teil der Gruppe, wobei insbesondere Keïta ihr Können an den Conga-Trommeln ausspielt und zeigt, was sie alles noch kann.
Auch das ist Jazz: Grenzüberschreitung des Programms und freie Improvisation, Klangschleifen unter Einbeziehung der Stimmung im Publikum, Live-Atmosphäre statt Vortrag – und insofern dann doch noch ein bewegendes Eröffnungskonzert von Enjoy Jazz und ein verheißungsvoller Ausblick auf die folgenden Konzerte.
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