Der neue Roman von Wole Soyinka über „Die glücklichsten Menschen der Welt“
Der nigerianische Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka ist ein begnadeter Theaterautor und ein überaus unterhaltsamer mündlicher Erzähler. Die literarische Prosa hingegen, von seinen autobiografischen Büchern abgesehen, ist nicht sein Metier. Seine Romane sind langatmig, ihre Dramaturgie ist selten stringent, und weil sich ihr Thema in Dialogen entrollt, ist eine Handlung nur schwer erkennbar. Bei Soyinkas jüngstem Roman „Die glücklichsten Menschen der Welt“ (Blessing, München 2022, 654 Seiten, 24 Euro) ist das nicht viel anders, und dennoch ist dessen Lektüre halbwegs akzeptabel. Das liegt daran, dass Soyinka seine Geschichte als Krimi erzählt, zumindest zum Teil. Zum anderen Teil ist sein Roman eine Komödie, eine Farce und Persiflage auf die Soufflégesellschaft in Lagos, also auf die aufgeblasenen Politiker und Unternehmer seines westafrikanischen Heimatlandes. Zugleich ist das aber auch das Problem dieses Buchs: Es ist weder Krimi noch Komödie.
Die Handlung ist rasch resümiert: Ein Arzt kommt dem Handel mit Menschenfleisch auf die Schliche, und die Versuche, ihn von weiteren Recherchen abzuhalten, führen zum Wahnsinn seines ersten sowie zum Paketbombentod seines zweiten Freundes. Der dritte Freund, ein erfolgreicher Prediger und Kirchengründer, wird sich, aber das ist lange absehbar, letztlich als Haupttäter herausstellen. Dass es also ausgerechnet vier Freunde waren, erinnert natürlich an Alexandre Dumas‘ Roman „Die drei Musketiere“ (mit d‘Artagnan), aber das ist im Grunde nebensächlich, weil es keine weiteren Berührungspunkte gibt. Gleiches gilt für Anspielungen auf Charles Dickens und Léopold Sédar Senghor. Mit dem Paketbombentod wiederum spielt Soyinka auf die Ermordung des Journalisten Dele Giwa im Jahr 1986 an, und dieses Attentat ist in der Tat in der nigerianischen Medienbranche bis heute unvergessen – der ebenfalls getötete, im Auftrag des Militärdiktators Sani Abacha im Jahr 1995 gehängte Schriftsteller Ken Saro-Wiwa stellte es in den Mittelpunkt seines 1991 erschienenen Romans „Pita Dumbrok’s Prison“. So viel als Erklärung, warum Soyinka seinen Roman der Erinnerung an Dele Giwa widmete.
Doch hätte Soyinka aus seinem Roman besser drei Theaterstücke gestaltet. Die Komposition des Romans folgt ohnehin der klassischen Theaterdramaturgie, wobei die Einführung der Figuren allein 150 Seiten beansprucht. Dann folgt ihre psychologische Charakterisierung mit allerlei Wiederholungen, und zahlreiche retardierende Momente, die bei einem Roman dieser Länge durchaus bis zu 50 Seiten dauern können, verzögern den Handlungsverlauf. Die letzten 200 Seiten haben eine Beerdigung, Exhumierung und Neubeerdigung zum Gegenstand, bis sich dann Deus ex Machina erbarmt und das erwartete Ende bestätigt.
Und doch: Soyinkas Wortgewalt – hervorragend übersetzt von Inge Uffelmann – ist erschlagend, sein Wortschatz immens, die Figurenzeichnung differenziert, und sein Sinn für Komik und Skurrilität kommt in einzelnen Szenen sehr gut zur Wirkung, wenngleich der umfassende Handlungsrahmen eben fehlt. Wie gesagt, drei Theaterstücke wären das aus Dramaturgensicht allemal, beziehungsweise hätte ein Verlagslektor daraus auch drei schmalere, straffere Bücher gestalten können: eine Komödie über Nigerias Geschichte und Gesellschaft, einen Krimi über Aberglauben und Menschenfresser sowie eine Posse über einen Leichnam, dessen Bestattung zu immer neuen Verwicklungen und Komplikationen führt und die Eitelkeiten der Hinterbliebenen entlarvt.
Und fairerweise ist auch festzuhalten, dass „Die glücklichsten Menschen der Welt“ – damit sind übrigens die Nigerianerinnen und Nigerianer gemeint – gemessen an Soyinkas fiktionalen Romanen nicht der schlechteste ist. Wer also viel Zeit, viel Geduld und ein großes Interesse am Werk Soyinkas und sonst nichts anderes zu lesen hat, der könnte da und dort Gefallen finden am jüngsten Roman Soyinkas, der 1986 den Nobelpreis erhielt, neun Tage, bevor Dele Giwa ermordet wurde.
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