Von der Freiheit des Körpers
Es ist eines der renommiertesten und maßgeblichsten Festivals in Europa, das der Popmusik aus Afrika gewidmet ist: das Africa Festival in Würzburg, das bereits zum 29. Mal am Ufer des Main vier Tage lang beste Stimmung verbreitete und in diesem Jahr mit dem programmatischen Schwerpunkt auf Westafrika rund 80000 Besucher anzog. Wobei gerade dieses Festival auch zeigte, dass die geografische Festschreibung dieser Musik auf Afrika gewissermaßen irreführend ist, leben manche der Musiker doch in Paris oder sind als Kinder afrikanischer Eltern in Lissabon zur Welt gekommen. Und der Reggaemusiker Dellé wieder, Sohn eines Arztes aus Ghana und einer Krankenschwester aus Deutschland, kam in Berlin zur Welt und wechselt zwischen seinen Heimaten im Norden Ghanas und inmitten Berlins hin und her. Ferner sind sowohl die Musik als auch die Bands von internationalen Stars wie Faada Freddy aus Senegal, Fatoumata Diawara – bekannt aus dem Film „Mali Blues“ – oder Salif Keita aus Mali sowie Elida Almeida von den Kapverdischen Inseln weltweit so vernetzt und global besetzt, dass ihre kompositorischen Impulse weithin Wirkung zeigen und die nationalen Schranken längst überschritten haben. Die Vielfalt ihrer musikalischen Stile hat sich ohnedies weit von dem Getrommel und Klingklang der Solidaritätskonzerte entfernt, die für afrikanische Musik mithin längst nicht mehr kennzeichnend sind.
Faada Freddy etwa beeindruckt mit sogenannter Body Percussion – er kommt wie seine Bandkollegen ganz ohne irgendein Instrument aus und macht alles nur mit Stimme und Körpertönen, das aber geradezu umwerfend. Er stützt sich dabei auch auf Arrangements internationaler Pophits etwa von Queen, Bob Marley oder Shinéad O’Connor und verfügt so souverän über dieses musikalische Material, dass einmal mehr Musik als Heimat aller Menschen ersichtlich wird. Und Marema aus Senegal experimentiert mit Rock, Pop und Jazz, wohingegen Fatoumata Diawara das Tempo der Musik von Fela Kuti aus Nigeria aufgreift und mit Gesang und Gitarre besten Hardrock präsentiert, dass sie sich für auch für das Open Air in Wacken empfiehlt.
Und noch etwas zeigte dieses Festival: Superstars wie Salif Keita, dessen Konzert im August in der Hamburger Elbphilharmonie längst ausverkauft ist, gehören einer Generation an, die bereits von einer neuen jungen Riege an hervorragenden Musikern abgelöst wird. So nahm er sich bei seinem Auftritt immer weiter zurück, überließ immer mehr seinen Bandmusikern – und den Sängerinnen und gleichermaßen Tänzerinnen, die den Auftritt auch zu einem optischen Spektakel machten. Insofern bestätigt das Africa Festival Würzburg einmal mehr seinen Ruf, gerade auch Neuentdeckungen den Weg zu ebnen, die manchmal auch nur im Rahmenprogramm zu finden sind – doch werden die Würzburger Konzerte ohnedies allesamt, ob auf der großen Abendbühne oder auf der Offenen Bühne an den Nachmittagen, von Arte und dem Bayerischen Fernsehen aufgezeichnet werden und sind dauerhaft abrufbar.
Besonders gilt dieser Überraschungsmoment für die junge Elida Almeida, die kurzfristig auf die große Bühne umgebucht wurde und mit ihrer Mischung aus Melancholie à la portugiesischem Fado, dem Moll-Ton der sagenhaften Cesária Évora und dem melodiösen Akkordeon-Funaná ihrer Heimat Kapverden samt leichtem Sal-Einschlag aus Kuba so hinreißend spielte, dass sie eben dem großen Salif Keita geradezu die Show stahl. Sie dürfte damit ihrer Karriere den Weg auch nach Europa geebnet haben. Überhaupt die Frauen! Awa Ly aus Senegal bot Soul, Fafa Ruffino aus Benin Jazzrhythmen, und nochmals: Die so zierlich schlanke Fatoumata Diawara präsentierte sich und ihren Afrobeat derart energiegeladen, dass die Begriffe Staunen und Begeisterung eine euphemistische Untertreibung sind.
Nicht zuletzt auch Eneida Marta aus Guinea-Bissau, die ebenso souverän ihr Publikum im Griff hatte und aus Piano, Gitarre und Kora, dem westafrikanischen Saiteninstrument, das wie eine Harfe klingt, eine ganz eigene Rhythmik schafft. Das hat natürlich mit dem Musikstil Gumbe aus Guinea-Bissau zu tun, einer polyrhythmischen Stilrichtung, die im Westen eher via Bahamas bekannt wurde und für fröhliche Unbeschwertheit steht. Auch Marta bot wie Keita, Almeida und Diawara eine Bühnenshow aus entfesseltem Tanz, die von der Live-Atmosphäre lebt und auf keiner CD nachzuempfinden ist.
Diese der Freiheit des Körpers huldigenden Tänze – oder besser: Performances – beweisen ein Selbstbewusstsein, das mit dem Begriff Emanzipation nur hölzern und unzureichend zu beschreiben ist und insbesondere im Falle Diawaras bestens zu ihren politischen Statements gegen Genitalverstümmelung und den Terror des sogenannten Islamischen Staats passte. Die Offenheit und Unverblümtheit, mit der Diawara ihrer Meinung Ausdruck gibt und sich damit zur Botschafterin von Freiheit, Recht auf Verschiedenheit und religiöser Toleranz machte, ist gerade vor dem Hintergrund der gewaltsamen Auseinandersetzungen im Norden Malis bemerkenswert mutig.
Und noch etwas wurde bei diesem Festival offensichtlich: Wie sehr die Strukturen der Vermittlung afrikanischer Musik weltweit gewachsen sind und dennoch noch an einzelnen Personen hängen. Sowohl Eneida Marta als auch Fafa Ruffino aus Benin beispielsweise – und gleichermaßen Sara Tavares von den Kapverden, die aber krankheitsbedingt nicht nach Würzburg kommen konnte und damit Elida Almeida zum Durchbruch verhalf – profitierten von den Kontakten zu Lokua Kanza aus dem Kongo, während die in Paris geborene Senegalesin Awa Ly mit Faada Freddy zusammenarbeitete. Es ist mithin längst ein weltweites selbstständiges Netzwerk gewachsen, das der Vitalität des Musikmarktes in Afrika zu internationaler Bekanntheit verhilft und sich damit vom westlichen Pop emanzipiert. Kein Wunder also, dass die künstlerische Avantgarde etwa in Lissabon weitestgehend von den Impulsen aus Afrika lebt und sich die sogenannte Szene dort auch dadurch auszeichnet, in ihren Slang unbedingt auch Ausdrücke zum Beispiel aus Angola einzuflechten. Afrika ist dort nicht nur in, sondern cool und wegweisend, und ohne die Migranten aus Afrika würde in diesem Fall die Alternativszene Portugals in der provinziellen Abgeschiedenheit Europas darben. Nicht zu vergessen, dass das Africa Festival in Würzburg über die Jahre zu einer Drehscheibe des internationalen Kulturaustauschs wurde und daher auch Exil-Afrikaner als Festivalgäste an den Main lockt. Und so langsam wird das auch im Freistaat Bayern bewusst, der das Festival in seiner weltweiten Bedeutung erkennt und als Aushängeschild der kulturellen Offenheit nutzt – wobei Zuschüsse vom Auswärtigen Amt in Berlin, aber nicht aus München kommen.
Was sich hier aber dennoch abzeichnet, ist gewissermaßen ein kleiner Perspektivwechsel. Die neuen Rhythmen dürften immer weniger aus der anglophonen westlichen Welt kommen, sondern zunehmend aus dem, was gemeinhin die Peripherie, der Rand der modernen Industriegesellschaft genannt wird. Beispielhaft dafür steht der sogenannte Urban Sound der Gruppe Takeifa aus Senegal. Die fünf Keita-Geschwister – die Brüder Jac, Cheikh, Ibrahima, Fallou und ihre Schwester Maah – kombinieren politisch engagierte Songtexte mit stilistischer kompositorischer Vielfalt und betonen dabei ihre globale Aufgeschlossenheit. In den Straßen Dakars zuhause, könnten sie genauso gut aus Johannesburg oder New York kommen, wie sie auch die verschiedenen Stile mischen: Soul, Funk, Zouk, Rock.
So ist das Africa Festival Würzburg in seiner Bedeutung, den Klischees und Stereotypen gerade von Afrika entgegenzuwirken, kaum zu überschätzen. Zwar scheint sich ein Großteil des Publikums noch aus ehemaligen Entwicklungshilfearbeitern und Afrikareisenden zu rekrutieren, die ohnehin wild entschlossen sind, sich bei afrikanischer Musik bestens zu unterhalten, doch ist in Würzburg unübersehbar, wie sich abseits der europäischen Öffentlichkeit eine internationale Musikszene etablierte, die eine Gegenwelt zu den globalen Standards darstellt und sich dabei auf genau die Elemente bezieht, die Pop- und Rockmusik im Westen einstmals so wertvoll machten: provokante Texte, politische Kritik an einem saturierten Establishment, mitreißende und identitätsstiftende Klangfolgen und eine unbeschreibliche Lebensfreude, die die Grenzen des Normativen positiv kreativ sprengt und damit wesentliche Impulse zur kulturellen Weiterentwicklung liefert. Was auf jeden Fall bleibt, ist die Freude auf das kommende Jubiläumsfestival 2018 – das 30. Africa Festival in Würzburg.
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