Chimamanda Ngozi Adichie veröffentlicht ihren neuen Roman „Dream Count“
Es ist ein gutes Buch. Es ist kein spektakuläres Buch, und es ist auch nicht sensationell gut oder formal fantastisch geschrieben. Aber es ist ein gut und einfach zu lesendes Buch – ein Roman über die Zwischenbilanz von vier Frauen, darüber, was sie sich einst für ihr Leben erträumten und was daraus geworden ist. „Dream Count“ heisst dieses Buch, und seine Autorin Chimamanda Ngozi Adichie schreibt ganz offen gegen Ende ihres Romans, dass ,dream count‘ selbstverständlich an ,body count‘ erinnert (Aus dem Englischen von Asal Dardan und Jan Schönherr, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 528 Seiten, 28 €). Und ,body count‘ ist für gewöhnlich die Bezeichnung zur Bestandsaufnahme gefallener Soldaten, umgangssprachlich meint das aber die Zahl der Personen, mit denen jemand, dezent formuliert, eine Beziehung führte.
Unabhängig und wohlhabend
Drei der vier Frauen sind sehr wohlhabend und ungefähr das, was die US-Autorin Taiye Selasi einst Afropolitans nannte: obere Mittelschicht, weit gereist und auf mehreren Kontinenten zuhause, zuletzt in den USA. Ihre Namen: Chiamaka, Omelogor und Zikora. Sie alle tragen Eigenschaften, die an Adichie selbst erinnern: Schriftstellerin die eine, Bloggerin die andere, über Mutterschaft sinnierende Frau die dritte. Ihre Psychen sind nicht besonders tief ausgelotet: optimistische Romantikerin die eine, lebenslustige Beziehungsscheue die andere, mit sich hadernde Zaudererin die dritte. Und dann ist da noch Kadiatou, die im Gegensatz zu den anderen nicht aus Nigeria, sondern aus Guinea-Conakry stammt. Als Mädchen wurde sie beschnitten, dann verheiratet und später als Witwe geächtet. In den USA erhielt sie Asyl, arbeitete als Bedienung, Raumpflegerin und bekommt von Chiamaka zusätzlich einen Job als Haushälterin angeboten.
Konkreter Fall
Ihren weiteren Job in einem Hotel befürchtet Kadiatou zu verlieren. Dort wurde sie nämlich von einem einflussreichen Mann bedrängt und genötigt, und das Verfahren gegen ihn, das auf Anzeige durch die Hotelleitung hin eingeleitet und dann von der Staatsanwaltschaft fallengelassen wird, zitiert den Skandal um Dominique Strauss-Kahn, den ehemaligen Direktor des Internationalen Währungsfonds. Sie sei einst, 2011, sehr ergriffen gewesen vom Schicksal der realen Nafissatou Diallo, schreibt Adichie im Nachwort zum Roman, und ihr Kapitel über Kadiatou bildet sowohl formal in der Mitte des Romans als auch emotional ergreifend geschrieben das Zentrum dieses Buchs.
Seine Qualität erhält der Roman durch Einblicke in den weiblichen Alltag in Nigeria und Guinea, in die Bedingungen und Folgen tradierter Verhaltensmuster und den Druck, der aufgrund gesellschaftlicher Erwartungen auf den Frauen lastet: der soziale Zwang, Kinder zu gebären, die entrechtete Position von Witwen. Zugleich geht es um intensive Tochter-Mutter-Beziehungen, um Abhängigkeiten, Fürsorge und Solidarität wie auch um das Wesen von Mütterlichkeit überhaupt und um Bindungsunfähigkeit. Zudem findet sich eingestreut in den Roman erneut deutliche Kritik am US-amerikanischen Way of Life, wie sie im Mittelpunkt von Adichies Romans „Americanah“ stand.
Selbstbewusst und ehrlich
Auch die Rivalitäten in Nigeria zwischen den Volksgruppen der Yoruba, Igbo und Hausa spricht Adichie an, wobei sie der allgemeinen Islamophobie entgegentritt und Omelogors Freundin Hauwa, eine Hausa, als aufgeschlossen und modern schildert, inklusive Drogenparties und Ladies Nights in Abuja.
So ist „Dream Count“ ein meinungsstarker Thesenroman, bisweilen plakativ, meist aber präzise formuliert. Aus ihm spricht das Selbstbewusstsein, zu sich selbst und der eigenen Gefühlswelt zu stehen – und die Konstellation der drei gut gebildeten Frauen erlaubt es Adichie, ihre Themen im Für und Wider zu erörtern. Der Kontrast zu Kadiatou wiederum veranschaulicht die gesellschaftliche Kluft, die unverändert zwischen den Menschen besteht, die einerseits miteinander, andererseits über andere sprechen – und wie verschieden Lebensträume sein können, abhängig von der sozialen Stellung. Mal geht es privilegiert um Empfindungen, mal substanziell um das tägliche Auskommen.
Kritisieren liesse sich vieles: die Konzentration auf Heterosexualität, das Fehlen männlicher Stimmen, das reine Oberschicht-Milieu. Aber über all das wollte Adichie offenbar nicht schreiben, und das ist in Ordnung so, denn das, worüber sie schreiben wollte, beschreibt sie gut.
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