Felwine Sarrs Roman „Die Orte, an denen meine Träume wohnen“
Bekanntgeworden ist der senegalesische Autor und Wirtschaftsprofessor Felwine Sarr vor etlichen Jahren zum einen durch seinen Essay „Afrotopia“ mit dem Entwurf einer glücklichen Zukunft Afrikas und zum anderen durch den gemeinsam mit Bénédicte Savoy für den französischen Präsidenten Emmanuel Macron verfassten Bericht „Zurückgeben. Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter“.
Nun hat Sarr einen Roman veröffentlicht, der die philosophische Seite dieses Autors zeigt, und nein, es ist nicht so, dass Sarr kürzlich erst beschlossen hat, neben seinen zahlreichen Sachbüchern nun auch noch Autor fiktionaler Bücher zu werden. Bereits im Jahr 2009 hat der heute 51-jährige Sarr einen ersten Roman veröffentlicht: „Dahij“, über die Suche eines jungen Mannes nach seiner Identität. Auch einen Theatermonolog hat Sarr geschrieben, sowie eben Sachbücher über Migration, Entfremdung und Heimkehr.
Was ebenfalls kaum bekannt ist: Begonnen hat Sarr, der an der Duke Universität in den USA Wirtschaftswissenschaften unterrichtet, seine künstlerische Laufbahn als Musiker. Sarr kommt schliesslich aus einer Musikerfamilie, gründete schon 1993 eine Musikband und veröffentlichte mehrere Alben, darunter zwei Solo-LPs. Kurzum: Felwine Sarr ist ein künstlerisches Multitalent, und seine beiden grossen Themen sind erstens eine selbstbestimmte Zukunft Afrikas und zweitens die Frage: Wo und was ist mein Platz in dieser Welt, wofür leben wir – und wie gemeinsam am besten? Und so ist es kaum verwunderlich, dass sich Sarrs neuer, zweiter Roman „Die Orte, an denen meine Träume wohnen“, zum Teil auch wie eine Selbstbefragung des Autors liest:
Sarr erzählt die Handlung seines Romans aus mehreren Perspektiven, überwiegend aber als parallele Lebensgeschichte zweier Brüder. Der eine, Fodé, lebt als Schreiner in Westafrika, der andere, Bouhel, geht zum Studium der Semiotik nach Europa. Fodé lebt mit seiner Frau Marème zusammen, Bouhel lernt die polnische Studentin Ulga kennen. Fodé wird von einem alten Weisen zum Hüter afrikanischer Spiritualität erwählt und verkörpert die Kultur der Volksgruppe der Serer. Bouhel geht mehrere Wochen in ein Kloster und wird dort in christlicher Religion und Mystik unterwiesen. Fodé tötet als spiritueller Führer einen bösen Geist, Bouhel erschlägt aus Notwehr den psychisch instabilen Bruder Ulgas. Bouhel wird daraufhin verhaftet, aber ein Zauber, den Fodé an Ulga schickt, verkürzt seine Haft. Und Ulga, die zwar Naturwissenschaften studiert, sieht dennoch ihr Vertrauen in die für sie unerklärlichen Kräfte Fodés wie auch immer bestätigt.
Es liegt nahe, die beiden Lebensentwürfe von Fodé und Bouhel als gegensätzlich miteinander zu vergleichen: Zum einen der Wechsel von vita activa und vita contemplativa, ganz wie bei Hermann Hesse, zwischen einem Leben im Alltag und dem Alltag im Kloster. Zum anderen hier die europäische Rationalität und Wissenschaftlichkeit, dort die afrikanische Magie, Spiritualität und die Riten der Initiation. Aber gerade so ist es nicht, sondern es geht Sarr vielmehr darum, zu zeigen, dass sich Wissen und die Suche nach Erkenntnis hier wie dort ergänzen.
Sarrs Sprache ist dabei von Rhythmik und Musikalität geprägt, und in seinem Buch nennt er die Lieder und Interpreten, die er während des Schreibens hörte und die auch seine Figuren hören: Cesária Évora von den Kapverden etwa, oder Wasis Diop aus Senegal. Und mit einer Vielzahl weiterer Anspielungen und Würdigungen öffnet Sarr ein breites Spektrum kultureller Fixpunkte, die sein Denken und Schreiben beeinflussen. Und so ist der von Doris Heinemann gut übersetzte Roman „Die Orte, an denen meine Träume wohnen“ nicht nur ein Roman, sondern zugleich ein reflexiver Text über das Verhältnis von Kunst und Alltag, von Wissen und Glaube, von Vernunft und Neugier. Oder wie Immanuel Kant das Thema ausdrücken würde: Was kann ich wissen, was darf ich hoffen, was soll ich tun?
Felwine Sarr: Die Orte, an denen meine Träume wohnen. Aus dem Französischen von Doris Heinemann. S. Fischer Verlag, 2023, 192 Seiten, 24 Euro.
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