Helon Habilas neuer Roman „Reisen“ im Verlag Das Wunderhorn
Zehn Jahre ist es nun her, dass der Heidelberger Verlag Das Wunderhorn seine Reihe Afrika Wunderhorn startete. Zu diesem Jubiläum erscheint der Roman eines Autors, der schon mit seinem Bestseller „Öl auf Wasser“ – siehe dazu die Lesung im Heidelberger Spielgezelt während der Literaturtage im Jahr 2012 (https://www.youtube.com/watch?v=eyq-9r8IWug) – die bemerkenswerte Vielfalt und literarische Qualität dieser Buchreihe unter Beweis stellte.
Und um es gleich vorneweg zu sagen: Helon Habilas neuer Roman „Reisen“ steht diesen hohen Erwartungen in nichts nach. Dabei hatte Habila diesen Roman eigentlich anders angelegt, als Buch über das Leben in zwei Welten – so jedenfalls war es anfangs geplant. Jedoch: Ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Berlin sowie das Schicksal der Flüchtenden im Jahr 2015 veränderten das Konzept Habilas, der an der George Mason Universität in Washington Kreatives Schreiben lehrt – und zu Lesungen aauch in Deutschland und der Schweiz war, was sich in den Erwähnungen von Berlin, Basel, Genf, Heidelberg oder Mannheim niederschlägt.
„Reisen“ lautet der Titel seines neuen Romans und hat Migration zum Thema. Die Hauptfigur ist ein Literaturwissenschaftler aus Nigeria, der mit seiner Freundin, einer Malerin, in den USA lebt, aber für ein Jahr nach Berlin geht, wegen eines Stipendiums. Dort ist er fasziniert von der Hausbesetzerszene, und statt auf Vernissagen bewegt er sich bald in alternativen Kreisen und auf Demonstrationen. Mit ihm tauchen auch die Leser langsam ein in diese nicht-touristische Seite Berlins, und mit ihm lernen sie auch Migranten kennen, die in einer Kirche Unterschlupf gefunden haben.
Ruhig, sehr visuell und atmosphärisch schildert Habila diese Seite Berlins – und überträgt die Erzählerstimme dann den Menschen, denen sein Protagonist begegnet: einem Vater mit Sohn, der jeden Sonntag zum Checkpoint Charlie geht, weil er sich dort mit seiner Frau und Tochter verabredet hatte, für den Fall, dass sie sich auf der Flucht verlieren; einer jungen Frau, die einen Emigranten heiratete, der sich dann zum Islamisten wandelte; einem Mann aus Somalia, dessen Weg über Jemen, Syrien, Türkei, Bulgarien und Griechenland nach Deutschland führt und der am liebsten in Mogadischu geblieben wäre; einer Frau aus Sambia, Portia heißt sie, die in Erfahrung bringen will, wie ihr Bruder in der europäischen Fremde ums Leben kam.
Und so, wie diese Figuren sich in Ungewissheit bewegen, so verliert sich auch der Protagonist, denn er steigt in einen falschen Zug, verliert seine Ausweispapiere und findet sich in einem italienischen Flüchtlingslager wieder. Doch keine Sorge, am Ende trifft er Portia wieder, die Frau aus Sambia, und wird mit ihr nach Lusaka gehen, weg aus Europa und weg aus den USA. Denn die Geschichten und die Szenen, denen er begegnete, haben ihn verändert, haben einen anderen Menschen aus ihm gemacht.
Nein, es ist kein deprimierendes Buch. Der Roman „Reisen“ zeigt, dass die Menschen eigentlich alle nur Nomaden auf Erden sind – und öffnet den Blick dafür, das unverschämte Geschenk eines privilegierten Lebens und das Glück, geliebt zu werden, schätzen zu lernen. Habilas Sprache ist vorsichtig, sachte, zurückhaltend, und in der beginnenden Liebe zu Portia schüchtern und zärtlich. Die Übersetzerin Susann Urban hat diese unaufdringliche Stimmung im Deutschen sehr gut wieder gegeben, und so ist „Reisen“ trotz seines schweren Themas ein bezaubernder Roman, dessen Bildsprache sich leicht in die Gedanken der Leser schleicht.
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