Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin Sharon Dodua Otoo hat mit „Adas Raum“ ihren ersten Roman veröffentlicht
„Man kann sehr gut kreativ mit Deutsch umgehen“
Manchmal sind es Dinge, die im neuen Roman „Adas Raum“ (S. Fischer, 228 Seiten, 22 Euro) der Berliner Autorin Sharon Dodua Otoo sprechen. Oder besser: Es ist ein Wesen, das seiner Geburt entgegenharrt, das die Handlung aus der Sicht von Dingen kommentiert – mal ein Armband, dann ein Türklopfer, ein Zimmer, ein Pass.
Aber eigentlich geht es in dem Buch um zwei Schwestern, Ada und Elle, in deren Berliner Gegenwart die Schicksale vorangegangener Frauenpaare wiederkehren. Und genau genommen hängt alles mit einem Perlenarmband zusammen, das vor Hunderten von Jahren verlorenging und nun zur rechtmäßigen Person zurückkehrt. Jedenfalls ist alles mit allem zu einer wunderbaren Geschichte verwoben, die Otoo in ihrem Debütroman ausrollt. Dazu habe ich mit der Autirn gesprochen.
Frau Otoo, die Handlung Ihres Romans „Adas Raum“ spult sich in Zeitschleifen ab – mal in Westafrika im 15. Jahrhundert, mal im London zur Zeit des Schriftstellers Charles Dickens und der Mathematikern Ada Lovelace, mal im Konzentrationslager Mittelbau-Dora, mal im Berlin der Gegenwart. Wie sind Sie zu diesem Konzept der Zeitschleifen gekommen?
Sharon Dodua Otoo: Es gibt ja dieses Riesenproblem des Rassismus und die Frage, was wir dagegen tun können. Ich dachte mir, es wäre cool, wenn wir mitberücksichtigen könnten, dass viele Menschen, viele Generationen vor uns mit ähnlichen Herausforderungen gekämpft und versucht haben, diese Probleme zu lösen. Und wie wäre es, wenn wir unseren Kampf nicht linear verstehen würden à la ,da haben wir schrittweise gewonnen’, sondern auch sähen, dass wir Menschen an immer gleichen Stellen auch gehadert haben, dass sich Alles immer irgendwie im Kreis dreht oder in einer Schleife. Und das meine ich nicht als etwas Deprimierendes, sondern als etwas, das wir immer wieder transformieren. Ich bin ja eine aktivistische Person, ich möchte, dass die Dinge besser werden. Also das Buch sollte Hoffnung machen, aber nicht im Sinne von zuckersüß, sondern um Möglichkeiten aufzuzeigen, wie etwas besser werden könnte – und da gehört eine Anstrengung dazu.
Das ist ja durch den Titel „Adas Raum“ ausgedrückt – eine Anspielung auf Virginia Woolfes Roman „Ein Zimmer für sich allein“. Und zum Schluss findet Ada für sich einen Raum, richtig?
Otoo: Ja, unbedingt! Raum ist genau das, was ich aufmachen möchte mit meinem Roman. Ich hoffe, dass dieser Roman viele verschiedene Menschen anspricht. Ich bin eine Person, die Beziehungen zu Westafrika hat, zu England und zu Deutschland. Und aus diesen jeweiligen Perspektiven heraus schreibe ich. Es gibt im Buch auch eine Anspielung auf Bertolt Brechts „Flüchtlingsgespräche“: „Der Pass ist der edelste Teile von einem Menschen“.
Was hat Sie bewogen, Deutsch als Ihre Literatursprache zu nutzen?
Otoo: Das war ein Unfall! Ich bin nicht morgens wachgeworden und habe mir gesagt, ich schreibe einen Roman auf Deutsch. Bevor ich die Kurzgeschichte „Herr Gröttrup setzt sich hin“ schrieb, habe ich tatsächlich einige Sachen auf Deutsch geschrieben. Meistens Essays, wissenschaftliche Texte. Ich hatte dann eine Anfrage für einen Text, und ich wollte das auf eine lustige und humorvolle Weise lösen. Thema der Anfrage war ein kritischer Text über das Weißsein, also was macht es mit einer weißen Person, in einer mehrheitlich weißen Gesellschaft zu leben? Wie ist es, Privilegien zu haben ohne zu merken, dass man sie hat? Deswegen habe ich diese Kurzgeschichte „Herr Gröttrup setzt sich hin“ geschrieben. Und als ich dann den Preis bekam und eine Agentur sowie einen Buchvertrag hatte, wäre es möglich gewesen, einen Roman auf Englisch zu schreiben und übersetzen zu lassen. Und es gab verzweifelte Momente während des Schreibens, in denen ich dachte, warum mache ich das auf Deutsch? Aber ich bewege mich in diesen Diskussionen um Sprache und Kritik an Diskriminierung in Sprache. „Adas Raum“ ist tatsächlich der Versuch, zu sagen, dass das geht: Ich glaube, es ist möglich, diskriminierungsarm zu schreiben, respektvoll mit Sprache umzugehen und ein künstlerisches Werk zu schaffen. Das Deutsche kann das verkraften, man kann sehr gut kreativ mit Deutsch umgehen, neue Wörter schöpfen. Wenn ich das auf Englisch geschrieben hätte, dann wäre die deutsche Version sehr viel konservativer geworden. Ich bin froh, dass ich das gemacht habe! Es war sehr hart, ich habe viereinhalb Jahre geschrieben, ich habe sehr gelitten, aber jetzt, da es fertig ist, bin ich froh und werde wahrscheinlich bei Deutsch bleiben, zumindest für das nächste Projekt.
Haben Sie schon ein Thema?
Otoo: Ich habe angefangen, so etwas wie eine Leseprobe zu schreiben, denn jetzt geht der Prozess wieder los, einen Verlag zu suchen und vielleicht einen Vorschuss zu bekommen. Die Geschichte wird wieder in der Vergangenheit spielen, aber nicht so weit weg, keine 500 Jahre, sondern in den 1970ern in Deutschland. Ich nehme zwei schwarze Figuren: Ein Ehepaar – er ist aus den Staaten und war Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland stationiert; seine Frau ist eine Afrodeutsche – ihr Vater ist Afrikaner und auch in einem Kriegskontext nach Deutschland gekommen. Durch diese Figuren möchte ich eine Art Schwarze Deutsche Geschichte erzählen. Also dass diese Menschen viel länger da sind, als wir es wahrnehmen.
Das führt zur Debatte um das Erbe von Kolonialismus und Sklaverei. Dabei gibt es Unterschiede, denn eine Black Community wie in den USA, die auf das gemeinsame Erbe der Sklavenzeit zurückschauen kann, gibt es in Frankreich mit der freiwilligen Zuwanderung, auch aus arabischen Staaten, nicht. Und die Community in Großbritannien ist eher indisch oder karibisch geprägt. In Deutschland treten wir, sagen wir mal, gerade erst aus der Ignoranz heraus. Wie vergleichbar halten Sie denn diese gesellschaftlichen Phänomene und für wie übertragbar die entsprechenden Argumentationsketten?
Otoo: Ich glaube, dieser Community-Begriff ist sehr umkämpft. Und vielleicht wird auch nie abschließend geklärt, was er bedeutet – in den jeweiligen Kontexten. Und es ist nicht nur dieser nationale Unterschied, sondern auch ein Generationenunterschied. Also es gibt Menschen, die Mitte der 1980er Jahre als Teil der Schwarzen Community aufgetreten sind. Sie entstand in Deutschland zu einer Zeit, als viele Menschen aus ihrer Vereinzelung herausgefunden und eben eine schwarze deutsche Bewegung gegründet haben. Aber es gibt auch Menschen, die nicht auf den Begriff der Schwarzen Deutschen pochen, weil sie sagen, dass Schwarz eine Identität ist, die jenseits von nationalen Grenzen existiert. Es gibt schwarze Menschen, die sagen, ich habe ein Recht darauf, als deutsch anerkannt zu werden. Und dann gibt es Menschen, die sagen, ich habe zwar den deutschen Pass, aber in erster Linie bin ich eine Person, die versucht, über die Grenzen hinaus mit anderen schwarzen Menschen gegen Rassismus, Unterdrückung und Ausbeutung einzutreten. Mein Plädoyer wäre, das alles im Blick zu haben und respektvoll mit den verschiedenen Ansichten umzugehen. Denn sie alle haben ihre Berechtigung, sind aus einem Kontext entstanden, und es können mehrere Sachen gleichzeitig wahr sein.
Die Namen Ihrer Romanfiguren beginnen mit A oder L: Ada, Lamiley, Lizzie, Linde, Elle, Al, Alfons, Afonso. Warum?
Otoo: Der Name Ada ist der Kurzgeschichte entnommen, ich wollte eine Geschichte schreiben mit dieser Frau, Ayda oder Ada, die in der Kurzgeschichte eine Putzfrau ist. Ich bin bei dem Namen geblieben, weil er in mehreren kulturellen Kontexten üblich ist. Und mir hat auch gut gefallen, dass sich der Name rückwärts wie vorwärts lesen lässt, als Palindrom – und das hat auch mit den Schleifen zu tun. Elle kam später, als ich selber erst gemerkt habe, dass die Namen der Freundinnen mit L anfingen. Da habe ich dann Elle gewählt und gesehen, dass das auch so ein Spiegelname ist: Elle.
Und woher die Vorliebe für die Zahl 37? Die Hausnummer in London, die Seite im Ausstellungskatalog, die Baracke im KZ?
Otoo: 37 ist ein historischer Fakt. Die sogenannte Sonderbaracke im KZ Mittelbau-Dora hatte die Verwaltungsnummer 37. Und alles andere habe ich von dieser 37 abgeleitet.
Zum Buch „Adas Raum“: Im Kreislauf der Geschichte
Es ist die Geschichte zweier Frauen, zweier Halbschwestern im Berlin der Gegenwart: Ada und Elle. Ihr Vater arbeitete einst zunächst in Großbritannien, dann in Deutschland – und sie haben erst kürzlich voneinander erfahren.
Die Leserinnen und Leser von Sharon Dodua Otoos Roman „Adas Raum“ wissen darüber hinaus noch weitaus mehr über Ada und Elle. Sie blicken zurück auf Frauenpaare, die immer wieder ähnliche Schicksale erlebten, sei es in Westafrika oder in Zentraleuropa: verlassen, ausgenutzt oder missbraucht, eifersüchtig kontrolliert oder im Konzentrationslager zu Prostitution gezwungen. Gelingt es, diesem Teufelskreis der Gewalt zu entrinnen? Otoos Heldinnen arbeiten daran und erkämpfen sich schrittweise mehr Freiheiten.
Schon rein formal bietet der in zwei Teile gegliederte Roman eine inspirierende Lektüre: Vergangenheit versus Gegenwart, Unterdrückung versus Selbstbestimmung, Einengung versus Offenheit. Aber auch sprachlich ist „Adas Raum“ angenehm zu lesen: mündlich im Tonfall, wirklichkeitsnahe Dialoge, eine alltagssprachliche Grammatik. Dabei ungezwungen reich an literarischen Bezügen beziehungsweise unbeschwert bezüglich der wechselnden Erzählerperspektiven.
Und thematisch, gerade was die Szenen aus dem Konzentrationslager Mittelbau-Dora anbelangt, ergreifend unverblümt. Vielleicht braucht es diesen Blick, um Geschichte in einen größeren Zusammenhang stellen und dadurch in ihrer Komplexität besser verstehen zu können.
Darüber spricht aus diesem Roman eine Weltsicht, die den Menschen nicht als isoliertes Individuum begreift, sondern als Wesen im Gefüge einer Gemeinschaft. „Kein Mensch ist eine Insel“ schrieb der britische Autor John Donne bereits vor 400 Jahren, jeder steht in einer Traditionslinie mit anderen und in einem gemeinschaftlichen gesellschaftlichen Zusammenhang. Die Bedeutung und die Schicksalhaftigkeit dessen zu begreifen – dieses historische Bewusstsein vermittelt „Adas Raum“.
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