26. Juni 2024
von Manfred Loimeier
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Tierno Monénembo entlarvt Guineas ersten Präsidenten Sékou Touré

Guinea-Conakry ist ein im afrikanischen Vergleich kleiner Küstenstaat im Westen des Kontinents. Dennoch hat das Land, immerhin so groß wie die alte Bundesrepublik Deutschland, in der Geschichte der Unabhängigkeiten eine große Rolle gespielt. Sein erster Staatschef Sékou Touré wurde weithin bewundert und galt als Idol etwa in Kuba oder der DDR. Diese politische Figur hat der vielfach preisgekrönte guineische Schriftsteller Tierno Monénembo in seinem jüngsten Roman „Indigoblau“ einer kritischen Betrachtung unterzogen.

Es ist, das sei vorweggeschickt, kein einfach zu lesendes Buch. Der Schriftsteller Tierno Monénembo ist eben ein unglaublich kluger und vielbelesener Mensch, und so schreibt er auch. Zahlreiche renommierte Literaturpreise hat er dafür erhalten, etwa den Prix Tropique, den Prix Renaudot, den Prix Ahmadou Kourouma und allen voran den Grand prix littéraire d’Afrique noir. Monénembo, der nach seiner frühen Flucht aus Guinea in Lyon studierte und seit vielen Jahren in den USA lehrt, arbeitet gern mit literarischen Querverweisen – und zwar auf die gesamte Weltliteratur.

Das ist auch in seinem jüngsten Roman „Indigoblau“ so (Peter Hammer Verlag, 268 Seiten, 28 Euro), in dem sich Anspielungen auf Dostojewski, Foucault, Dadié, Marcuse oder Solschenizyn finden lassen und ebenso auf Klassiker des französischen Kinos oder Chansons. Was aber auch interessant zu wissen ist: Tierno Monénembos Geburtsname lautet Thierno Saïdou Diallo. Geboren wurde Monénembo 1947 als Sohn eines Beamten, und mit 22 Jahren floh er zu Fuß nach Senegal und begann danach in der Elfenbeinküste zu studieren. Warum aber ist das wissenswert? Nun, Diallo heißt eine der tragenden Figuren in diesem Roman, und Diallo, Doktor Diallo genauer, ist eine tragische, unglückliche Figur.

 

Dazu sagt Monénembo selbst:

Im Guinea jener Jahre herrschte ein Klima furchtbarer Repression. Alle Welt verließ das Land, es gab drei Millionen Exilierte. Ich wurde zwar nicht persönlich bedroht oder veranlasst, Guinea zu verlassen, aber es herrschte ein Klima, das dazu beitrug, dass ein Großteil der Bevölkerung Guinea verließ. Es gab kaum eine Familie in Guinea, im der nicht mindestens ein Familienmitglied bedroht worden wäre. Vor diesem Hintergrund habe ich Guinea verlassen.

 

Und damit sind wir beim Thema. Hauptfigur des Romans „Indigoblau“ ist die junge Atou, die später erfahren wird, dass sie eigentlich Véronique Bangoura heißt. Atou ist auf der Flucht, weil sie ihren Vater, der eigentlich ihr Stiefvater ist, wie sie später erfahren wird, ermordete, nachdem er sie vergewaltigen wollte. Diese Flucht führt sie nach Frankreich, wo sie eine ältere Nachbarin kennenlernt, die Atou immer wieder nach ihrer Herkunft aus Guinea befragt. Und das führt schließlich zur Offenlegung mehrerer Geheimnisse.

Die Nachbarin war nämlich einst mit einem Mann aus Guinea verheiratet, den Sékou Touré als Opponenten hinrichten ließ. Ihrer beider Sohn ist seither verschwunden. Und auch Atous Schicksal ist damit verknüpft. Aber da ist dann noch ein Mann, der auspackt, ein Mann mit einer Jacke in Indigoblau. Er erzählt Atou, also Véronique Bangoura, von der Terrorpraxis jener Jahre unter Sékou Touré, der Regimegegner ermorden und binationale Ehepaare trennen ließ. Europäische Ehepartner wurden ausgewiesen, ihre Kinder zur Adoption freigegeben. Doktor Diallo ist so ein Kind, ebenso Atou, alias Véronique Bangoura.

Der Roman „Indigoblau“ handelt also von einem furchtbaren Verbrechen, das zwar aus den Militärdiktaturen Spaniens und Argentiniens bekannt ist, nicht aber aus Guinea. Monénembo geht es aber um noch viel mehr: Er fragt nach der grundsätzlichen und immer wiederkehrenden Bereitschaft von Menschen, einander zu morden – und so verwundert es nicht, dass Doktor Diallo letztlich am Leben verzweifelt.

Als Lektüre ist das erträglich, weil Monénembo so schreibt, wie er schreibt: es sind ineinander verschachtelte Erzählungen, sich überlagernde Erinnerungen, Schilderungen des Alltags und des Nachtlebens in Conakry. In den Clubs und Bars tobt die Musik afrikanischer Popstars, während tagsüber Schmutz, Arbeitslosigkeit und Kriminalität sichtbar werden. So zeigt Monénembo auch die Gegenwart Guineas, die tägliche Mühsal der Bevölkerung – und zwar meisterhaft.