Vom Gewinn, sich mit der deutschen Kolonialgeschichte zu befassen
Sich mit der Kolonialvergangenheit zu befassen, hat nicht nur mit der Geschichte Deutschlands zu tun, sondern vor allem auch mit seiner Gegenwart. Der europäische Wettlauf um die Einflussbereiche in Afrika steht am Anfang der Gründung des Deutschen Reichs, markiert mithin den Beginn der Staatsgeschichte Deutschlands. Auf dem Fundament dieses imperialen Anspruchs definierte sich auch die deutsche Nation – und das Ergebnis dieses Konkurrierens der europäischen Nationen um globale Macht ist grausam. Es hat nicht nur zu den beiden Weltkriegen und dem Kalten Krieg geführt, sondern ebenso zu diversen Stellvertreterkriegen in Afrika und Asien oder zu militärischen Interventionen in Lateinamerika und Nahost.
Die Antwort Europas auf diese Gemetzel war die Friedenspolitik eines zunächst nur gemeinsamen Marktes, war die Stärkung der Vereinten Nationen. Gerade das gemeinsame Europa hat auf der Grundlage dieser bitteren und brutalen Erfahrungen zu jahrzehntelangem Frieden und Wohlstand geführt, so dass ein anderer Alltag lange gar nicht mehr vorstellbar schien.
Wer heute alte Nationalismen wieder beschwört und dazu die verbindende Kraft Europas infrage stellt, muss wissen, welche Machtstrukturen er damit gleichermaßen wiederbelebt: diejenigen nämlich von Bevormundung und Unterdrückung, von Unterwerfung und einem letztlich auch gewaltsamen Gegeneinander. Sich mit der deutschen Kolonialgeschichte zu beschäftigen, klärt also den Blick dafür, was die Menschen in Europa niemals wieder wollten und stattdessen ersehnten und verwirklichten. „Das Alte zerfällt“ lautet sinnigerweise der Titel eines Klassikers der Literaturen aus Afrika, und das will sagen: Wer zu lange am Alten festhält, der verfällt mit diesem. Zukunft hat nur, wer nach vorne schaut. Und das versteht umso besser, wer sich mit der deutschen Vergangenheit, auch der deutschen Kolonialgeschichte, auseinandersetzt.
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